Osteuropas Konsens im Schwulenhass (3)

„Päderasten in den Ofen!“, „Schwule weggesperrt!“, „Tod den Perversen!“ - so oder ähnlich denken viele in Russland, Polen, Lettland oder anderen

osteuropäischen Ländern, und das nicht nur im stillen Kämmerlein. Als Reaktion auf die derzeit stattfindenden Manifestationen für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten formiert sich in Osteuropa eine Einheitsfront, die je nach Fanatisierungsgrad gegen ihre Feinde skandiert, betet oder zuschlägt. Teil 3.

„Propaganda der Homosexualität“

Dass zu Zeiten des Realsozialismus Gesetze und Ressentiments gegenüber Andersliebenden, Andersaussehenden und Andersdenkenden dem Einzelnen das Leben schwer bis unmöglich machen konnten, ist bekannt. So trieb beispielsweise die sowjetische Prüderie bisweilen bizarre Blüten: Mädchen in Hosen galten als verdorben und schamlos; holde Weiblichkeiten im züchtigen Rock, aber Hand in Hand spazierend - hingegen nicht. Wenn ausländische Studierende sich in beengten Mehrbettzimmern des Wohnheims unbedarft Doppelstockbetten zusammenbauten, um Platz zu sparen, wurde schon mal unter vorgehaltener Hand der „unsittliche“, d. h. homosexuelle, Charakter solcher Konstruktionen signalisiert. Männer, die sich mit Wangenküssen begrüßten, galten jedoch keineswegs als schwul.

Wenn Politiker wie der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow oder Polens Bildungsminister Roman Giertych auch heute unablässig von einer „Propaganda der Homosexualität“ schwadronieren, wenn dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Thema Lesben und Schwule nichts anderes als sinkende Geburtenraten in seinem Land einfallen und wenn lettische Populisten wegen des „Lasters“ Homosexualität den Untergang der Nation heraufbeschwören, dann wird hier eine unselige Tradition fortgesetzt, die Individuen unverschuldet diskriminiert und Pogromstimmungen erzeugt, wie sie auf den CSDs in Moskau, Warschau, Riga und Bukarest zu beobachten waren. Solche Aussagen zeigen, dass vielmehr eine Gefahr homophober Agitation als die einer „homosexuellen Propaganda“ besteht.

Der Begriff ist übrigens keine osteuropäische Erfindung. Als die schwullesbische Emanzipationsbewegung des Westens in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts immer stärker wurde, meinten vor allem konservative Politiker in Westeuropa und den USA, mit ähnlichen Konstrukten dagegen vorgehen zu müssen. Erinnert sei an Margaret Thatchers zu trauriger Berühmtheit gelangtes Gesetz „Clause 28“ , das bis 2003 die „Förderung von Homosexualität“ in britischen Gemeinden, Schulen und Kommunalbehörden verbot.

Defizitäres Demokratie- und Menschenrechtsverständnis

Seinen heutigen Agitatoren dient das Hirngespinst der „homosexuellen Propaganda“ zum einen dazu, das Bewusstsein für eine starke Demokratie und die individuellen Rechte des Einzelnen auszuhöhlen. Mit der ständigen Behauptung dieser angeblichen Propaganda schaffen gewissenlose oder engstirnige Politiker ein gesellschaftliches Klima, in dem gebilligt wird, Versammlungen, Aufklärungsarbeit und Organisationen zu verbieten, die sich für sexuelle Minderheiten einsetzen.

Zudem ist es schon immer bequem gewesen, einzelne Sündenböcke für die Probleme der gesamten Gesellschaft verantwortlich zu machen. Also stigmatisiert man dieses Mal LGBT-Gruppen (Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle) und rückt sie pauschal in die Nähe aller Übel einer unübersichtlich gewordenen Umwelt - Gewalt, Drogen, Pornografie, AIDS, sinkende Geburtenraten.

Natürlich dient das Gerede von der „homosexuellen Propaganda“ auch zur vermeintlichen Bestätigung der eigenen Persönlichkeit, wenn so mancher Politiker den gewöhnlichen Biedermann herauskehren lässt. Zu weiteren psychologischen Ursachen siehe hier.

Homophobie wird in vielen Staaten Osteuropas aber auch dadurch begünstigt, dass opportunistische Machthaber wie der Ex-Kommunist und frisch gebackene Christ Wladimir Putin gnadenlosen Populismus walten lassen. Im Bunde mit dem Klerus lassen sie es zu, dass anstelle von Demokratie und Menschenrechten die so genannten „traditionellen“, sprich religiösen Werte als alleingültiger Ersatz für die untergegangene sozialistische Ideologie propagiert werden - in Russland nach der Lesart der Orthodoxen, in Polen laut katholischer Kirche. Da deren patriarchalische Denkmuster Sexualität auch im 21. Jahrhundert allein als Pflichtübung der Reproduktion betrachten, kann alles andere darüber hinaus nur „Sünde und Zerfall“ bedeuten. Damit befinden sich Osteuropas Prediger in bester Gesellschaft mit deutschen Katholiken vom Nachrichtenportal kreuz.net. Dort wimmelt es von Schlagwörtern wie „Homo-Seuche“ „Homo-Unzüchtige“, „Homo-Ideologie“ und „Homo-Propagandaveranstaltungen“. Willkommen zurück im Mittelalter ...

Alter Geist in neuen Gesetzen?

So verwundert es kaum, dass sich in Russland die Stimmen mehren, Homosexualität erneut als kriminelles Vergehen ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Ausgerechnet die sich „Gerechtes Russland“ nennende Partei tut sich hier besonders hervor. Weil man aber bisher mit der Rückbeförderung von Homosexualität ins Strafregister gescheitert ist, fordert Alexander Tschujew, Duma-Abgeordneter der Partei, zumindest schon einmal, Lehrer und Führungskräfte in Armee und Justiz, die den „Tatbestand“ der „Propaganda von Homosexualität“ erfüllen, mit Berufsverbot zu belegen. Zu diesem Zweck wollte er im vergangenen Jahr den Strafparagrafen gegen Pornografie um einen Absatz zur Homosexualität ergänzen. Und Sergej Mironow, Vorsitzender von „Gerechtes Russland“, betont, man könne im Unterschied zu den sozialdemokratischen Kollegen im Westen nicht für eine volle Freiheit des Individuums sein. Als Beispiele nennt er in einem Atemzug die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und die Verbreitung von Drogen. (Quelle)

Radikale Gläubige, Nationalisten und politische Anhänger des linken wie rechten Außenrandes fordern ohnehin ganz unverhohlen, mit Homosexuellen wieder kurzen Prozess zu machen und sie ins Lager oder auf Inseln wegzusperren. Zitat aus dem Artikel eines der russischen KP nahe stehenden Internetforums: „Für mich sind Homos und Tierschänder alles Perverse. Ich verstehe die stalinschen Gesetze zur Verurteilung jeglicher Perversitäten und halte sie für vollkommen gerechtfertigt, da sie auf unserer Tradition, Sittlichkeit und Mentalität beruhen.“ (Quelle) Besser hätten es andere Extremisten auch nicht formuliert. Und so trafen sie sich alle am 27. Mai, vereint in ihrem Hass, die Reste eines ohnehin verbotenen CSDs auf Moskaus Straßen zu verprügeln (siehe Teil 1 dieser Serie).

Ganz im Sinne des verstorbenen Ultrakonservativen Papst Johannes Paul II. wird man auch in dessen Heimatland nicht müde, wenn es um den Kampf gegen „Laster und Unzucht“ geht. Im März kündigte das polnische Bildungsministerium unter Roman Giertych, auch Vorsitzender der erzkatholischen Liga Polnischer Familien, ein Gesetz an, das „homosexuelle Propaganda“ an Schulen verbieten solle. Damit rief man jedoch das Europäische Parlament auf den Plan, das in einer Erklärung ankündigte, Herr Giertych werde auf sein Gesetzesprojekt verzichten müssen.

Das hielt Anna Sobecka, Giertychs Verwandte im Geiste und Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Familien, nicht davon ab, ein gesetzliches Verbot „homosexueller Propaganda“ auch im Fernsehen zu fordern. Wörtlich erklärte die Teletubbie-Expertin (siehe Teil 2) bei einer Ausschusssitzung: „Homosexuelle Handlungen können eine Gefahr für die Gesellschaft sein, weil sie die Weitergabe von Leben ausschließen“. In derselben Sitzung erklärte die Vertreterin des Bildungsministeriums Hanna Wujkowska, Homosexualität sei eine „Abhängigkeit ähnlich der Abhängigkeit von Pornografie oder vom Internet“. (Quelle) Wer aber warnt vor der Gefahr, die von Politikern wie diesen beiden Damen für Europas Zukunft ausgeht?

Kaum verwunderlich, das diejenigen, die über die Natur des Menschen unvoreingenommen aufklären wollen, schon jetzt wegen „Propaganda der Homosexualität“ zurückgepfiffen werden, selbst wenn sie strafrechtlich (noch) gar nicht relevant ist.

Als Ende Mai im russischen Petrosawodsk die Aktivisten der „Jugendgruppe für die Verteidigung der Menschenrechte“ mit ihrem Projekt „Alle sind verschieden - alle sind gleich“ in Schulen über Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Homophobie aufklären wollten - hpd berichtete -, schickte die dortige Schulbehörde ein Rundschreiben an alle Schulleiter der Stadt. Darin wurde mitgeteilt, dass sich die örtliche Staatsanwaltschaft mit der Tätigkeit der Menschrechtsgruppe befasse. Da die Menschenrechtsschützer das psychische Wohl der Kinder beeinträchtigen könnten, sollten die Schulen Mitteilung über deren Aktion an die Schulbehörde machen, damit sie ihrerseits gegenüber der Justizbehörde berichten könne. Ein Schelm, wer da an vergangen geglaubte Zeiten denkt.

Gegen Agitation der Homophobie

Die These, Homosexualität könne beworben und verbreitet werden, also - umgekehrt - auch vermeidbar sein, wird nicht wahrer, weil sie aufgrund religiöser Dogmen oder mangels Wissen in Umlauf ist. Die Erkenntnis, dass die Erde keine Scheibe ist, hat sich schließlich auch durchgesetzt. Doch in welchem Jahrtausend müssen wir erst landen und wie viele moderne Scheiterhaufen soll es noch geben, bis es der Letzte begreift: homo-, bi- oder heterosexuell wird man nicht. Man ist es - genau so, wie man linkshändig, rothaarig oder grünäugig geboren wird.

Wer kann folglich für etwas werben, das nicht wählbar ist?! Es ist auch keine „Lebensweise“, für die Toleranz-Romantiker und Politiker hierzulande oft um Verständnis werben. Eine Lebensweise als Vegetarier, Punk, Frühaufsteher, Lebemann, wie auch immer, bestimme ich weitgehend freiwillig, die sexuelle Orientierung hingegen nicht. Daher ist Letztere auch Gegenstand einzufordernder Akzeptanz, ob man sie nun - wie rotes Haar und grüne Augen auch - mag oder nicht.

Dass Politiker insbesondere in Osteuropa, aber auch anderswo, allen Erkenntnissen zum Trotz immer wieder Vorurteilen Vorschub leisten und Homophobie kraft ihres Amtes in der Bevölkerung salonfähig machen, anstatt sie zu bekämpfen, ist skandalös und mittelalterlich.

Gleichzeitig ist die Agitation der Homophobie ein Affront gegen ein modernes Europa, das seine Zivilisiertheit auch daran messen lassen muss, wie es mit Minderheiten, darunter den LGBT, umgeht. Homophobe Bekenntnisse verstoßen gegen die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU, deren Mitglieder Polen und Lettland sind, sowie gegen Entschließungen des Europarates, dem auch Russland beigetreten ist.

Hier darf es nicht mehr einzelnen westeuropäischen Politikern und Initiativen überlassen bleiben, sich bei osteuropäischen CSDs und ähnlichen Kampagnen vor Ort solidarisch zu zeigen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen Farbe bekennen und klären, welche Werte Europa schützen soll und welche nicht. Im „Europäischen Jahr der Chancengleichheit 2007“ hat die amtierende EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel bezüglich der Diskriminierung sexueller Minderheiten zumindest bisher klare Worte missen lassen.

 

Tibor Vogelsang

Lesen Sie hier Teil 1 und Teil 2 des Beitrags.